Lernen von Glaubens-Aussteigern

 

 

Das war der wohl ungewöhnlichste „Hauskreis“, den ich je besucht habe. Die meisten Gruppenmitglieder waren einmal engagierte Christen, haben Erfahrungen mit Gott gemacht. Zwei haben Theologie studiert – an einem freikirchlichen Seminar. Eine Frau war mit einem Pastor verheiratet und in der Jugendarbeit engagiert. Einer war Laienprediger, wieder ein anderer hatte einen missionarischen Aufbruch in seiner Jugendgruppe erlebt und stand als

20-Jähriger an der Spitze einer über 50 Mitglieder zählenden Gruppe.

Schließlich haben sich alle bewusst vom Glauben an Jesus Christus abgewandt. Weil sie aber die Gemeinschaft in der Gemeinde doch vermisst haben, haben sie diesen Kreis gebildet. Ein verbindlicher Kreis für Aussteiger.

 

Was war denn schief gegangen mit und in ihrem Glaubensleben? Ich bekam offene Antworten. Ich räume ein: Ich habe diese Voten nicht gegengecheckt in den Gemeinden, aus denen sie kamen. Es kann sein, dass andere in der Gemeinde Situationen anders wahrgenommen haben. Und trotzdem: Die Aussagen geben ein subjektives Stimmungsbild wieder, warum Menschen den lebendigen Glauben an Jesus Christus über Bord geworfen haben.

In ihren Gemeinden haben sie Heuchelei erlebt. Das, was sonntags gelehrt und geglaubt wird - so ihr Eindruck - ,wird bei vielen in der Woche nicht gelebt. Statt Freiheit, Selbstverantwortung und Entfaltungsmöglichkeiten sind sie auf ein starres, wie sie sagen, menschenverachtendes und lebenszerstörendes System gestoßen. „Wo jede Lebensfrage mit einem Bibelzitat beantwortet wird, fehlt mir die Luft zum Atmen“, hieß es. Fragen, die sie an der Bibel hatten, durften nicht gestellt werden. Wo sie es dennoch taten, wurden sie als Stören empfunden. Was mir besonders weh tat: Die Ehepartner von zwei Mitgliedern des Kreises sind bereits verstorben. Doch die Antworten in den Gemeinden auf die Frage nach dem Tod wurden als nicht wirklich hilfreich erlebt. Alle sagen von sich, dass sie nach wie vor „auf der Suche“ sind.

 

Der Besuch in diesem Kreis hat mir noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig einoffener und ehrlicher Umgang in unseren Gemeinden ist. Wenn Gottes Geist durch uns wirken soll, dann muss die Liebe Gottes durch uns konkret erfahrbar sein. Kritische Anfragen hält Gott aus. Und uns sollten sie nicht stören. Einmal musste ich schmunzeln: Fast alle Mitglieder des Kreises vermissen den gemeinsamen Gesang in der Gemeinde. Vielleicht ist hier eine Lücke im gemeindlichen Programmangebot, um „Ehemaligen“ positive Erfahrungen zu ermöglichen und sie wieder zu gewinnen: Singen für Mitglieder und Ausgetretene.